Der elektrische Transporter von Nissan ist ein wahres Multitalent für Familie, Handwerker und Fahrdienste.
Wer ein großes elektrisches Auto sucht, hat derzeit nur die Wahl zwischen dem langsam in die Jahre gekommenen Renault Kangoo Z.E. und dem seit vergangenem Jahr in Deutschland erhältlichen Nissan e-NV200. Dieser stammt vom mit einem Verbrennungsmotor angetriebenen NV200 ab. Optisch unterscheidet sich der e-NV200 vor allem durch die Frontpartie. Statt der klassischen Kühlerhaube, verstecken sich hinter einer Klappe mit elektroblauem Nissanlogo die Ladeanschlüsse. Unter der Haube verbirgt sich der Antriebsstrang aus dem Nissan Leaf, dem meistverkauften Elektroauto der Welt. Das bedeutet auch beim e-NV200 sorgt ein 80 Kilowatt Elektromotor mit 254 Newtonmetern für ordentlich Vortrieb. Da das elektrische Aggregat inklusive Leistungselektronik deutlich kleiner ist als ein Verbrennungsmotor ist der Motorraum beim e-NV200 nur spärlich gefüllt. Einen Frunk, also einen weiteren Kofferraum unter der klassischen Motorhaube, wie beim Tesla Model S oder dem BMW i3 fehlt aber leider im e-NV200. Wofür auch, werden sich die Ingenieure von Nissan gedacht haben. Denn wenn es etwas reichlich gibt im e-NV200, dann ist es Platz.
Ich war für zwei Wochen mit dem e-NV200 Evalia Tekna unterwegs. Fünf Sitzplätze, zwei Schiebetüren im Fond und eine riesige Heckklappe unter der ich mit meinen 1,80 Meter bequem stehen konnte. Kinderwagen passen problemlos am Stück in den Kofferraum und daneben ist noch reichlich Platz für den Wocheneinkauf einer Großfamilie. Nicht umsonst haben Fahrzeuge dieser Klasse den Beinamen „Babybomber“. Vorne sitzt man hoch wie in einem SUV und hat einen guten Überblick über den vorderen Teil des Fahrzeugs und den Verkehr. Das bei einem Elektroauto typische Einganggetriebe und die zwei verschiedenen Rekuperationsstufen des e-NV200 sorgen dafür, dass man mit dem großen Auto bequem durch die Straßen gleiten kann. Die beiden großen Außenspiegel lassen sich elektrisch in Position bringen. Die Schalter dafür sind leider etwas unglücklich auf Höhe des linken Knies montiert. Auch der Schalter für das künstliche Fahrgeräusch ist auf Kniehöhe. Ansonsten sind alle Knöpfe und Schalter gut vom Fahrerplatz aus zu erreichen. Ein Kuriosum ist der Handbremshebel. Der sitzt nämlich links vom Beifahrersitz und ist durch die Mittelkonsole vom Fahrersitz getrennt. Als man damals den japanischen Rechtslenker auf Linkslenker umgestaltete, hatte man bei der Handbremse wohl keine Lust mehr.
Nur Straßenbahn fahren ist schöner
Ich bin jetzt schon gut 50.000 Kilometer rein elektrisch gefahren. Ich steige also schon eine Weile nicht mehr mit dem typischen Elektroautogrinsen aus. Doch der e-NV200 hat es geschafft, mir dieses Elektroautogrinsen wieder ins Gesicht zu meißeln. Ein Kastenauto ist zwar kein Rennwagen, aber der e-NV200 gibt sich sichtlich Mühe. Die 80 Kilowatt Motorleistung verbergen sich hinter einem deutlichen Widerstand am Fahrpedal. Wer nicht beherzt zutritt, bekommt nur 60 Kilowatt. Und die zusätzlichen 20 Kilowatt machen den Unterschied. So lässt auch das große Auto so einiges beim Ampelstart stehen und erntet an der nächsten roten Ampel erstaunte Blicke.
Auf den ersten Blick lassen die Blattfedern an der Hinterachse schlimmes erahnen. Doch durch den unter dem Fahrzeugboden hängenden Akku liegt auch hier der Schwerpunkt sehr niedrig. Das recht straffe aber nicht unkomfortable Fahrwerk tut sein Übriges für die Straßenlage. Um nicht zu sagen, die Karre klebt wie Pattex auf dem Asphalt. Zudem ist der e-NV mit einem Wendekreis von 11,3 Metern extrem wendig. Kein Wunder also, dass selbst erfahrene Elektroauto-Fahrerinnen breit grinsend über die Landstraße zischen. So viel Fahrspaß gibt es in keinem anderen Auto dieser Größe. Und das ganze ohne dröhnenden Motor und Vibrationen.
Im Test bin ich gut 1.500 Kilometer gefahren. Dabei zeigte der e-NV200 eine realistische Reichweite zwischen 130 und 150 Kilometer. Der Verbrauch im Test lag zwischen 15 und 17 Kilowattstunden auf 100 Kilometern. Bis auf die kleinste Kastenwagen-Variante sind alle e-NV200 mit einem CHAdeMO-Schnellladeanschluss ausgestattet. So konnte ich problemlos von Stuttgart nach Nürnberg und von Stuttgart nach Mainz fahren. An einer CHAdeMO-Ladesäule mit 50 Kilowatt Leistung ist der Akku in 30 Minuten von null auf 80 Prozent geladen. Für die restlichen 20 Prozent dauert es dann nochmal etwa 30 Minuten. In Wiesloch, also genau zwischen Stuttgart und Mainz steht neuerdings eine solche Ladesäule. So konnte ich mit einem nur 40-minütgem Ladestopp meine Stammstrecke fahren. Zeit zum Einkaufen, E-Mails checken oder es sich einfach nur auf der Rückbank bequem machen. Ein Knopfdruck auf die Fernbedienung reicht, um die Standklimatisierung beim Laden einzuschalten. Diese läuft dann so lange, bis das Fahrzeug vom Strom getrennt wird.
Üppig ausgestattet
Zuhause lädt der Nissan e-NV200 einfach an der Steckdose mit dem mitgelieferten 2,3 Kilowatt Ladekabel. Von null auf 100 Prozent braucht es damit gut zehn Stunden. Über eine Wallbox kann er serienmäßig mit 3,6 Kilowatt laden. Das reduziert die Ladezeit auf knapp sieben Stunden. Optional gibt es für alle Ausstattungsversionen für knapp 1.050 Euro ein 6,6 Kilowatt Onbord-Ladegerät. An einer entsprechenden Wallbox oder Ladestation dauert der Ladevorgang dann nur noch etwa dreieinhalb Stunden. Dafür braucht der Nissan aber 32 Ampere auf einer Phase. Solche Schieflasten sind in Deutschland in der Regel nicht erlaubt und bedürfen bei der Installation zu Hause einer Genehmigung durch den Netzbetreiber. Zu empfehlen ist das 6,6 Kilowatt Ladegerät durch aus. Denn das Auto ist so vielseitiger einsetzbar. Nach Nürnberg zur Schwester zum Grillen fahren, war nur möglich, da der Testwagen ein 6,6 Kilowatt Ladegerät hatte und ich vor Ort das Auto in knapp drei Stunden wieder laden konnte. Leider fehlen sowohl das 3,6 als auch das 6,6 Kilowatt Typ2 auf Typ1-Ladekabel in der Serie und im Zubehörkatalog und muss selbst beschafft werden. Hierfür können nochmal bis zu 400 Euro anfallen.
Der 6,6 Kilowatt-Lader ist dann auch das einzige Extra bei der Fünfsitzer-Version des e-NV200. Leichtmetallfelgen, Nebelscheinwerfer, Licht- und Regensensor, Multimedia- und Navigationssystem, Sitz- und Lenkradheizung, Multifunktionslenkrad, Klimaautomatik, Standheizung, Keyless go, Isofix, Tempomat, Online-Anbindung mit Smartphone-App, elektrische Fensterheber, Rückfahrkamera und noch einiges mehr sind ab Werk an Bord. Das einzige was ich wirklich vermisst habe, war eine Armstütze für die vorderen Sitze.
Navi mit verborgenen Qualitäten
Wie der Antriebsstrang stammt auch das Multimedia- und Navigationssystem aus dem Nissan Leaf. Auf den ersten Blick wirkt es etwas altbacken und grobschlächtig. Hier lohnt es sich allerdings das Handbuch zu wälzen oder einfach einen Leaf-Veteranen zu fragen. Denn tief im Multimedia- und Navigationssystem ist so mancher Schatz verborgen, der das Leben leichter macht. Das Kartenmaterial könnte etwas aktueller sein. Der Ende 2013 eröffnete Bud-Spencer-Tunnel in Schwäbisch Gmünd ist dem Navi völlig unbekannt. Angaben zu Geschwindigkeitsbeschränkungen tauchen nur sporadisch im Display auf und sind nicht wirklich verlässlich. Probleme bekommt auch die 2-D-Detailansicht, wenn zwei Abbiegungen aufeinander folgen. Das Nachladen der nächsten Anweisung dauert definitiv zu lange. Die optische Anmutung der Menüs und Karten ist für iOS- und Android-verwöhnte Augen gewöhnungsbedürftig. Was der allgemeinen Funktionalität aber keinen Abbruch tut. Bluetooth, USB mit iPod-Funktion, detaillierter Lade- und Klimaanlagentimer, Verbrauchsstatistiken und vieles mehr sind dabei. Der Radioempfang könnte jedoch etwas besser sein.
Riesiger Laderaum mit kleinen Schwächen
Der Laderaum, der in der Transportervariante zwei Europaletten schluckt, bietet auch mit Rückbank Platz en Masse. Mit einem Rollo der sich nach vorne und hinten öffnen lässt, kann man das Gepäck vor neugierigen Blicken schützen. Vermisst habe ich aber Taschenhaken, an denen man die Einkaufstüten oder die Taschen mit dem Ladekabel befestigen kann. So kullert alles munter durch den riesigen Kofferraum. Lediglich vier Spannösen sind auf dem Kofferraumboden zu finden. Aber jedes Mal den Einkauf mit einer Expanderspinne vertäuen? Die Lösungen im Zubehör-Katalog können auch nicht wirklich überzeugen. Hier sind kreative Eigenlösungen gefragt. Ein Fach für die Ladekabel unter dem leeren Kofferaumboden, hätte das Elektrofahrerherz ebenfalls gefreut.
Im Passagierraum gibt es in den vorderen Türen schmale Ablagen, die aber höchstens die Tageszeitung aufnehmen. Am Armaturenbrett finden sich für Fahrer und Beifahrer Getränkehalter. Die Ablagen in der Mittelkonsole könnten besser eingeteilt sein, hier finden sich aber noch zwei Getränkehalter. Unter dem Fahrersitz findet sich noch eine Schublade für dies und das. Für die Passagiere im Fond gibt es Getränkehalter in den Schiebetüren und den an den Vordersitzen angebrachten Klapptische. Für die Fondpassagiere gibt es einen zusätzlichen 12-Volt-Anschluss. Die getönten Schiebefenster im Fond sind relativ klein und lassen den Innenraum hinten recht dunkel wirken.
Der e-NV200 ist ein gelungenes Elektroauto. Durch seinen größeren Laderaum und die flexibleren Auflademöglichkeiten, könnte er zum Menetekel für den Renault Kangoo Z.E. werden. Zumal der Transporter etwa genauso viel Kostet wie der Renault. Bei Nissan gibt es aber mehr Optionen. Als Fünfsitzer ist der Renault gut 4.000 Euro günstiger, aber auch spärlicher ausgestattet.
Überzeugt mit leichten Abzügen in der B-Note.
Der Nissan e-NV200 bekommt daher nur Abzüge in der B-Note. Zum einen für die fehlenden Taschenhaken im Kofferraum. Zum anderen fehlt eine Dämmung zwischen Fahrerkabine und Motorraum. So ist der Frontantrieb lauter als nötig in der Fahrgastzelle zu hören. Eine einfache Dämmmatte hätte hier den elektrischen Fahrkomfort noch erhöht. Fährt man ohne Beifahrer klappert der Gurt an der Verkleidung der B-Säule. Der Ladeanschluss unter der Kühlerhaube ist leider nicht beleuchtet, was das Laden vor allem nachts zum Gefummel macht. Auch fehlt eine Verriegelung für den Typ1-Stecker am Fahrzeug, so wie sie der Leaf inzwischen hat. So muss man auch noch ein Vorhängeschloss unter der Klappe an den Stecker fummeln, wenn man das Ladekabel nicht geklaut bekommen möchte. Nachts bei Regen und zwei Grad Außentemperatur an einer verlassenen Ladesäule kein Spaß. Es sind also nur Kleinigkeiten, an denen Nissan drehen muss, um den e-NV200 noch besser zu machen.
Konkurrenzlos
Nun gut und der Akku könnte bei einem Elektroauto immer ein bisschen größer sein – so auch beim e-NV200. Ihm würden 10 Kilowattstunden mehr sicher gut anstehen. Vor allem im Winter, wenn der riesiege Innenraum geheitzt werden will, kann man die zusätzliche Energie gut gebrauchen. Platz ist jedenfalls unter dem Auto jedenfalls reichlich. Die 24 Kilowattstunden-Batterie füllt gerade mal die Hälfte des vorhandenen Platzes aus.
Der e-NV200 ist als Transporter nicht nur ein optimales Handwerker-Auto – vor allem wenn eine CHAdeMO-Ladestation zur Verfügung steht. Als Fünfsitzer macht er nicht nur Familien froh, sondern eignet sich auch perfekt für Taxi- und Fahrdienste – Voraussetzung ist allerdings eine CHAdeMO-Ladestation. Aber Gerüchte munkeln, dass es noch heuer 20 Kilowatt CHAdeMO-Wallboxen für 5.000 Euro geben soll.
Das Testfahzeug kostet ohne Batterie 30.870 Euro plus 1047 Euro für das 6,6 Kilowatt Onboard-Ladegerät. Die Batteriemiete ist nach Laufzeit und Kilometerleistung gestaffelt und kostet ab 86,87 Euro im Monat. Mit Kaufbatterie kostet das Fahrzeug 36.766 Euro plus 1047 Euro für das 6,6 Kilowatt Onboard-Ladegerät. Der Transporter ist mit Batteriemiete ab 23.919 Euro erhältlich.
Für den Test hat mir Nissan Deutschland das Fahrzeug für zwei Wochen kostenlos zur Verfügung gestellt.
Nissan.de: e-NV200 Nutzfahrzeug
Bildergalerie


























12 Kommentare
Hallo Jana, wieder ein super Text und Test!
Ich dachte aber immer, es wären Blattfedern und nicht Plattfedern
Ansonsten: continue blogging and enjoy the e~drive
Danke – es sind natürlich Blattfedern.
Schöner Artikel von dir zum e-NV200 und kann dir da nur beiflechten. Habe den Kastenwagen für zwei Wochen gehabt und war sehr zufrieden. Fahrräder hinten rein, in die alte Heimat gefahren, das Fahrzeug an die Ladesäule und eine Fahrradtour gemacht. Ja, die 6,6 kW Option ist absolute Pflicht und auch beim Nissan LEAF muss dies sein. Jetzt geht es für mich von Marburg nach Berlin mit dem e-NV200 und baue mir das Fahrzeug dazu kurzfristig als Schlafplatz für den Campingplatz um.
Hallo zusammen,
schade, das der e-NV200 nicht die magische 200km Reichweite schafft
die Batterie hätte ja Platz…
Ansonsten ein gelungenes Auto.
Gruss Reinhard
Super Testbericht, Jana. Bin schon überzeugt. Als wäre man die Kiste selbst gefahren!
Hallo Jana,
schön wieder einen ausführlichen, aktuellen Bericht von dir zu lesen.
Ich fahre nun knapp ein Jahr den Kangoo maxi, auch der ist schon ein recht guter 5-sitzer e-Van, natürlich mit den bekannten Nachteilen.
Gibt es denn den Nissan auch als 7-Sitzer, das wär bei mir hin und wieder sehr hilfreich?
Lieben Gruß, Jörg
Hallo Jörg,
ich habe gehört, dass der e-NV200 auch als Siebensitzer kommen soll. Das ist aber nur hörensagen. Von Nissan selbst habe ich leider keine Information dazu. Ich werde aber mal dort nachfragen.
Nissan Facebook Seite wurde er schon vor ein paar Monaten angekündigt, in England gibt es ihn seit ein paar Wochen zum bestellen.
Kann also nur noch zwei drei Monate dauern dann gibt es auch den 7 Sitzer.
Danke für die Info.
jipppieeeee, unser 11tes elektroauto ist da: ein knallsilberner e-nv200.
das erste wirklich praktische, moderne elektroauto überhaupt. mit lenkradheizung! schmal und hoch für immer enger werdenden parkraum und dennoch super kurvenlage und mords bumms.
zunächst hab ich entdeckt, daß der e-nv200 einen höchstgeschwindigkeitsanzeigenspeicher hat. eigentlich unnötig, denn auf der bahn fährt man ohnehin dauerpegel.
ich schreib hier sobald ich mehr details über die karre hab! versprochen!
Viel Spaß mit deinem Neuen!
so. update.
also ich hab nissan mal mit leaf spy lite überprüft: wenn die reichweite “ – – – “ anzeigt und die prozente von 5% auf “ – – – “ stürzen und kein balken mehr vorhanden ist sind immer noch gestandene 12%! im tank. die reichen für zusätzliche 10km bis dann irgendwann die schildkröte kommt. 130-140km sind im hügeligen schwabenländle locker drin. er säuft erst ab etwa 105km/h.
der akku muss nicht größer sein. wir brauchen dringend mehr 50kW-schnellladestationen. in ulm/dornstadt/laichingen und trochtelfingen/riedlingen. sonst kommt man nie nach münchen oder lindau.
den e-nv200 hab ich abgespeckt, ohne 2er sitzbank, ohne reserverad + halterung und ohne den massiven wagenheber bin ich nun 60kg schlanker.
innen habe ich angefangen zu dämmen, auch im motorraum ein bischen. die rekuperationsgeräusche sind erheblich geringer. der wagen fährt sich nun (erst) sehr angenehm.
das private chademo-engagement von otto möller in biberach kann nicht hoch genug bewertet werden. danke dafür. ich werds in anspruch nehmen! 🙂